Die Idee von allgemeingültigen Menschenrechten gibt es nicht erst seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN 1948. Die Ursprünge sind auch nicht bei der französischen Revolution, der Unabhängigkeitserklärung der USA oder in den Schriften der europäischen Aufklärung zu suchen. Die ältesten belegten Überlegungen zu Menschenrechten entstehen in Afrika und finden sich in der sogenannten Manden-Charta. Es handelt sich um die Verfassung Mandes, die 1222 von Sundiata Keïta, dem legendären Gründer des Mali-Reiches, ausgerufen wurde. In den sieben Artikeln geht es um die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens, die Gleichheit aller Lebewesen und die grundlegenden Freiheiten im Handeln und Sprechen.
1. Die Jäger sagen:
Alle Geschöpfe sind eins.
Es stimmt, dass ein Geschöpf vor einem anderen das Licht der Welt erblickt,
aber ein Geschöpf ist nicht älter und ehrwürdiger als ein anderes,
und auch kein Geschöpf ist besser als ein anderes.
2. Die Jäger sagen:
Alles Leben ist eins,
kein Unrecht, das einem anderen Geschöpf zugefügt wird, bleibt ungestraft.
Also
soll keiner seinen Nächsten ausbeuten,
soll keiner seinem Nächsten Unrecht tun,
soll keiner seinen Nächsten quälen.
3. Die Jäger sagen:
alle sollen aufeinander achten,
alle sollen ihre Eltern ehren,
alle sollen ihre Kinder gut erziehen,
alle sollen die Bedürfnisse ihrer Familienangehörigen stillen.
4. Die Jäger sagen:
alle sollen auf ihre Heimat achten.
Für das Vaterland ist der Mensch das Wichtigste,
denn wenn die Menschen vom Land verschwinden
wird es sich nach ihnen sehnen,
Niedergang und Verzweiflung erfahren.
5. Die Jäger sagen:
Hunger ist schlecht,
Sklaverei ist schlecht;
Es gibt nichts Schlimmeres in der Welt als Hunger und Sklaverei.
Solange wir Pfeil und Bogen haben,
wird der Hunger niemanden mehr in Mande umbringen,
auch wenn Dürre das Land heimsucht.
Der Krieg wird keine Dörfer mehr zerstören,
keine Unterwerfung mehr.
Das heißt dass Niemand mehr einem Mitmenschen die Kandare anlegen wird,
um ihn zu verkaufen;
Niemand wird mehr geschlagen in Mande,
geschweige denn getötet,
weil er ein Sklave ist.
6. Die Jäger sagen:
Die Sklaverei ist nun verboten und geächtet,
„von einer Mauer zur anderen“,
von einer Grenze Mandes bis zur anderen;
Überfälle sind von nun an in Mande verbannt,
die Leiden, die daraus entstehen, haben ab heute ein Ende.
Hunger ist schlecht!
Ein Hungriger verliert jede Scham.
Welch entsetzliches Leid für den Sklaven und den Hungernden,
ohne jeden Ausweg.
Ein Sklave ist überall auf der Welt seiner Würde beraubt.
7. Die Ahnen sagen:
Ein Mensch an sich,
bestehend aus Knochen und Fleisch,
Gehirn und Muskeln,
Haut und Haaren
ernährt sich von Speisen und Getränken;
aber seine Seele lebt von drei Dingen:
zu sehen, wen man sehen will,
zu sagen, was man sagen will,
zu tun, was man tun will.
Wenn der Seele eines dieser Dinge fehlt,
wird sie leiden und verkümmern.
Also sagen die Jäger:
Jeder ist für sich selbst verantwortlich,
jeder ist frei zu Handeln,
im Rahmen der Gesetze des Landes.
Das ist die Verfassung Mandes,
adressiert an die ganze Welt.
Deutsche Übersetzung von David Malluche und Lamine Doumbia, zu finden unter:
https://www.lag-malihilfe.de/ueber-mali/mande-charta